Sie kam über Nacht, die Gewissheit, alles zu haben und alles zu sein, was ich zum Leben brauche: Epiphany!
Ich hatte einen großen Plan, steckte schon Ende des Jahres in emsigen Vorbereitungen für mein No-Buy-Year 2024. Es war verrückt, die Aussicht, nur das zu konsumieren, was ich dringend zum Leben brauchen würde, beruhigte und erregte mich, als sei selbst das Nichtkaufen ein Gegenstand, den ich bald anschaffen würde. Ich guckte jeden Abend bis in die Puppen YouTube Videos von Personen, die von ihrem letzten oder ihrem bevorstehenden No-Buy-Year schwärmten. Von ihren Listen und den drei Kategorien schwadronierten: Essentials, Allowed, No Go. Ich machte auch Listen, schrieb Sachen auf, die ich weiterhin kaufen würde. Lebensmittel sind essentiell, klar. Klopapier auch. Klamotten? Nö, ich habe alles. Oder? Ich bekam Panik, als ich an den kommenden Sommer und den Bikini dachte, den ich schon im vorletzten Jahr blöd fand. Ich abonnierte den Kanal der New Yorkerin Grace Nevitt, die reizend chaotisch und sehr unterhaltsam ihr Vorhaben des Year Of Less teilt. Es gibt eine richtige Bewegung. Wenn man die Worte No-Buy eingibt, stößt man auf unendlich viele Menschen, die es wohl satt haben, so privilegiert pappsatt und dennoch dauernd gefühlt im Mangel zu sein. Die es leid sind, durch Überkonsum die Müllhalden und ihre innere Bedeutungslosigkeit zu füllen, die nie Geld auf dem Konto, aber Berge von Klamotten daheim haben. Ich machte das, was sie alle machen: Eine Inventurliste. Und fühlte mich, während ich vor der Schublade mit meiner Unterwäsche kniete, als sei ich die Inhaberin einer Boutique. Einer sehr kleinen Boutique. Auf meine Liste krakelte ich die Anzahl meiner Schlüpper, merkte an, welche intakt, welche ausgeleiert, welche ausgemistet und wie viele vor Beginn des neuen Jahres ersetzt werden müssten. Die Idee ist, dass man, wann immer man ein No-Buy (oder ein Low-Buy) beginnt, so ausgestattet ist, dass man sich wohl und sicher fühlt. Man startet also mit der Souveränität des Habens statt des Solls, um, wann immer der Impuls auftaucht, man müsse etwas kaufen, sich selbst ein schlichtes, freundliches “No” entgegensetzen kann. Einfach nein, nicht aus Bevormundung, Disziplin, Askese oder Freudlosigkeit, sondern aus der Überzeugung: Alles da. Use what you already have.
Wenn man anderen erzählt von solchen Kapriolen, sich kritisch äußert zum Überkonsum unserer Welt, gar erwähnt, minimalistisch zu leben, scherzen manche, less is less, hoho, und more is more, haha. More is more is more is irgendwann große Scheiße. Und die haben wir nun auf unserem boiling hot planet. Solange wir leben, so lange konsumieren wir, klar, ich bin weder gegen jede Form des Konsums noch Antikapitalistin (siehe Fotos), aber ich bin überzeugt, dass unser Überkonsum schon lange einen kritischen Punkt erreicht hat, und versuche, mich daran so wenig wie möglich zu beteiligen. Dann ging mein Föhn kaputt. Ich recherchierte tagelang, entschied mich gegen einen Haartrockner für 400 Euro mit Ionen-Technologie und kaufte diesen kleinen von Braun, der hoffentlich die nächsten dreißig Jahre seinen Job macht. Manche Leute sagen auch, dass das minimalistische Gedöns schadet, wir müssen, müsssen, müssen doch alle noch viel, viel mehr kaufen, damit die Wirtschaft angekurbelt wird. Und dann sitzen wir mit all unserem an die Tür gelieferten Plunder depressiv daheim rum und suchen immer weiter nach Etwas, von dem wir überzeugt sind, dass es sich da draußen irgenwo befinden muss. Das muss es doch, oder? Ich zählte meine Socken und stellte fest: 7 Paar Schafswollsocken, 9 Paar Tennissocken. Das müsste reichen. Was ich leider direkt wieder vergaß, als ich kurz drauf beim Reformhaus rotweißgemusterte dicke Norwegersocken entdeckte, die ich dringend brauchte. Ich lief dennoch weiter und erinnerte mich an meine Inventur: 7 Paar Schafswollsocken. Ein Paar Füße. 365 Tage. One Planet Earth. This Pale Blue Dot.
In meinem Schrank fand ich drei Knäuel Cashmerewolle, sie liegen dort seit Jahren und erinnern mich daran, dass ich nicht mehr weiß, wie man strickt und dass ich auch echt Besseres zu tun habe, als es zu lernen. Was nochmal genau? Ich traf also letztens meine Freundin Ardas Chandra, sie zeigte mir, wie das geht, sich ein Dreieckstuch zu klöppeln. Ich verzweifelte an den langen Nadeln, an dem Garn, an meinen Fingern, die nicht mehr wussten, was sie als Kind doch mal konnten. Ich zweifelte an meinen kognitiven Fähigkeiten, an meinem Gehirn, das viel lieber etwas anderes tun wollte, das bevorzugt hätte, sich einfach etwas Weiches online zu bestellen.
Es folgte die Küche, ich zählte Linsen- und Pastapakete, Reis und Dosentomaten, schrieb auf meine geistige No Go-Liste, dass ich keinen Tee mehr kaufen will, solange ich Tee habe. Keine Teller, keine Tassen, solange ich sie im Schrank habe. Das ist auch die Regel (die jeder natürlich für sich selbst aufstellen muss, es gibt ja keinen No-Buy God), die ich anwende für Kosmetik. Alles, was ich benutzen möchte, benutze ich. Wenn es leer ist und ich es weiterhin nutzen möchte, kaufe ich es nach. Was ich aber nicht tun werde: stets auf der Suche nach dem Nächsten, nach Neuem, nach etwas Besserem sein. Keine Optimierungsjagd. Das heißt, wenn meine Creme, mein Deo, mein Shampoo, meine Zahnpastatube leer ist, kaufe ich exakt diese eine Marke wieder einmal (1!) nach. Kein Vorrat, kein Es-war-grad-im-Angebot und auch kein Das-habe-ich-auf-Instagram-gesehen. Ich bin nun endlich in dem berauschenden Alter, in dem ich mit hundertprozentiger Sicherheit weiß, dass es auf der ganzen Welt kein externes Produkt gibt, dass mich schöner, jünger und sexyer macht. Und noch viel geiler: Dass ich es nicht mal mehr suche. Eine Ruhe, als habe sich der Sand gesetzt und das Wasser ist klar.
Einen Tag nach meiner Erleuchtung stand ich mit drei Kinder Country in meinen Händen an der Kasse bei Budni und sagte, okay, dann nehme ich noch einen. Der Verkäufer meinte, das reicht leider nicht. Ah okay, dann nehme ich noch einen! Hinter mir bildete sich eine gereizte Schlange. Der Kassierer scannte einen weiteren Riegel: “Es fehlen leider noch immer dreißig Cent bis zum Mindestwarenwert.” Mit sechs Kinder Country, Klopapier, Kerzen und 100 Euro Cash in der Tasche verließ ich den Laden. Was war schon wieder schiefgelaufen, dass ich etwas gekauft hatte, was ich weder brauchte noch wollte? Diesmal lag es daran, dass man dort Bargeld kostenlos abheben kann, wenn man einen Warenwert von mindestens 10 Euro verbraten hat. Statt nebenan beim Geldautomaten einfach Geld abzuheben für eine Gebühr von 3 Euro 50, wollte ich pfennigfuchsig sein und entschied mich für den Zuckerschock. Okay, ich übe noch. Auf meiner noch lange nicht ausgefeilten Erlaubt-Liste stehen auch Reisen, auswärts essen gehen, weil ich das Leben, das Schöne, die Welt sehr mag. Aber ich möchte mich auf ihr bewegen mit Respekt, Liebe, Eleganz und Gelassenheit: calm is the coolest sneaker.
Wie kreiert man eine Wüste der Neuheiten und wer will das überhaupt? 1. Indem man mit dem, was man bereits besitzt, zufrieden ist. Und noch einen Schritt weiter geht: Indem man all das, was man bereits besitzt, auch benutzt. Gerne benutzt, es liebt, schätzt, pflegt, ohne dass diese Unruhe an einem knabbert, für die man keinen Namen hat, die sich anfühlt, als würde einem jemand verfolgen. Wer das will? 2. Die wenigsten Menschen. Stattdessen begeben die meisten sich permanent auf die Suche nach Etwas, was dieses störende Gefühl wegmachen soll, robben wir durchs Internet, als seien wir am Verhungern und suchten Beeren im Unterholz. Meistens sind es nur Unterhosen. Oder Sommerkleider. Oder Haarspangen. Oder Pullover. Oder Sneaker. Selten sind es Beeren, selten knurrt der Magen. Auf einer anderen Ebene, die irgendwo tief unter all dem liegt, was wir draufgeschüttet haben, herrscht dennoch Mangel, jault Jammer, piekst Unsicherheit. Wie eine seelische Unterzuckerung, die rasant behoben werden muss, damit uns nicht schwindelig wird, wir nicht aus den Latschen kippen vor innerer Leere. Es kommt einem zur rechten Zeit der Satz zu Hilfe, den man irgendwo mal gelesen hat: “Die Welt da draußen ist zu schlecht, um das Leben nicht mit sinnloser Geldverschwendung zu genießen.” Ach, siehste, Absolution. Mensch, manchmal will man doch nur sein Hirn ausradieren.
Zu nutzen, was man schon hat, lässt sich ausweiten auf andere Lebensbereiche. Es beginnt vielleicht mit Make-Up, erst mal vielleicht die Lippenstifte aufbrauchen, benutzen, wirklich damit leben, nicht nur in der Fantasie, sondern in real life. Nicht partout die Person sein wollen, die roten Lippenstift trägt, die jedoch in Wahrheit viel lieber nur farblosen Lipbalm trägt. Und die trotzdem immer weiter wie irre nach dem einen perfekten roten Lippenstift sucht. Diese Suche wird niemals enden. Genauso wenig wie jene nach “der perfekten Jeans” oder dem “perfekten Concealer”. Es gibt diese Sachen gar nicht. Sie existieren nicht. Sie werden saisonal immer wieder neu erfunden, um uns, die wir suchen, anzufüttern. Von Magazinen, der Industrie und Social Media. Real ist nur die Jeans, die man trägt. Heute. Hier. Jetzt. Ich habe so eine. Die habe ich am Leib, während ich das hier schreibe. Das ist ein vollkommener Moment, einer, in dem mir nichts fehlt, ich nichts suche, ich nicht nach einer anderen Version meiner selbst in meiner Seele scharre und deshalb auch nicht nach einer neuen Büx im Internet graben muss. Was mit der Zeit auch weniger wird, ist dieses endlose Suchen nach Antworten außerhalb meines Selbst. Ich weiß schon ganz viel. Zu dieser Weisheit zu stehen, ihr zu vertrauen und sie zu genießen, führt dazu, dass ich materiellen Dingen weniger Wert beimesse. Und wahrscheinlich dieses Jahr weniger Ratgeber kaufen und Online Selbstoptimierungskurse buchen werde. Wenn ich trotz all dem Wissen wieder mal in das Rabbit Hole geraten sollte, habe ich zwei Schaufeln, die mich da rausbuddeln. Die erste ist eine Reihe von Fragen: Welche Unsicherheit verspricht dieses Produkt zu beheben? Was glaube ich, kann ich damit in mir reparieren? Und wer hat mir eingeredet, dass ich einen Sprung in der Schüssel habe, der geklebt werden muss? Was kann ich tun, wenn es mal nicht so gut geht? Vielleicht ein Glas Wasser trinken. Einen Fuß vor den anderen setzen, auf dieser Erde, statt gleich neue Schuhe zu kaufen.
Die zweite 1.Hilfe, die mich da rausbugsiert, wenn ich meine, mir würde ganz viel fehlen zu meinem Glück: Eine Wunschliste anlegen. Ich habe eine auf Rebelle, eine auf Vestiaire Collective und eine in meinem Notizbuch für alles, was mir während des Monats begehrlich erscheint. Ich kehre zu allen Listen zurück von Zeit zu Zeit und jedesmal wundere ich mich, wer das notiert oder in meinen Warenkorb gelegt hat. Soo ein Quatsch, wie und wann kam ich denn drauf, dass ich eine schwarze Vintage D&G Anzughose brauche? Und welcher Gaul hat mich geritten, als ich dieses langustenschwanzfarbene Cult Gaia Kleid als Favorit markiert habe? Keinen blassen Schimmer, aber schon jetzt ist der Triumph der Saison, es nie bestellt zu haben. Das Einzige, was ich leider weder aus meiner Birne noch von meiner Liste streichen kann, ist ein Shoji. Ein japanischer, maßgeschneiderter Raumteiler aus Reispapier, der 2000 Euro kosten würde. Wir beobachten das.
Turtle Power, lit from within,
Suse 🐢
Eyes wide open. 👀 Du sprichst mir aus der Seele. Mir wird fast schlecht beim Gedanken an meine Maßlosigkeit, den Überfluss der sich anhäuft und der Unruhe, die das eigentlich in mir auslöst.
Danke.
No Fantasy Self!
What a great eye-opener text, again. Bless you, dear Susanne 🍵