Showing up is the hardest part
Der zweitschwerste ist die Technik. Der dritte: nicht den Verstand zu verlieren.
![](https://substackcdn.com/image/fetch/w_1456,c_limit,f_auto,q_auto:good,fl_progressive:steep/https%3A%2F%2Fsubstack-post-media.s3.amazonaws.com%2Fpublic%2Fimages%2F49d26d39-b6c9-464b-8d95-9ae61aedf120_4032x3024.jpeg)
Mitten in der Nacht kannst du mich wecken. Und ich stehe wie ein Zinnsoldat aufrecht auf der Matratze und verrate dir alles über das Schreiben. Am Samstagabend bei einer Freundin tönte ich noch: „Ach, der zweite Part ist immer easy.“ Part One war gut gelaufen, anderthalb Stunden Frontalbeschallung aus dem Effeff. Zwischen dem ersten und dem zweiten Teil des Schreibkurses kommt das, was mir am meisten Spaß macht: Die eingereichten Texte der Teilnehmerinnen lesen. Alles dabei, keiner gleicht dem anderen, in jedem mindestens ein Satz mit dem man arbeiten kann. Was mir daran immer besonders gefällt, ist, dass es nicht um meine Worte, sondern um die der anderen geht. Ich kann mich hochkonzentriert zurücklehnen und mein Ego vergessen.
Um 17 Uhr trafen wir uns wieder online, zehn Texte lagen ordentlich sortiert auf meinem virtuellen Schreibtisch, meine Haare waren gewaschen, alle pünktlich im Zoom Meeting, wir hatten keine Zeit zu verlieren. Vielleicht war’s der neunte oder zehnte Kurs, ich weiß also mittlerweile, was ich tue. „Ich teile nun meinen Bildschirm mit euch, damit ihr mitverfolgen könnt, wie ich arbeite.“ Ich drückte wie jedes Mal auf den Button „Bildschirm freigeben“, ein Fenster poppte auf und ich wusste in dieser Achtelsekunde, dass mein Abend gelaufen war. Nicht nur meiner, auch jener der zehn Teilnehmerinnen. Die Bildschirmfreigabe funktionierte nicht, was nicht an meinem technischen Unvermögen lag, wie sich nach anderthalb Stunden im eigenen Saft stehend raustellte. Wir erinnern uns, der nette Computerfreak im Dezember?! Und ich, die sich gegen einen neuen Laptop für 1500 Euro entschieden hatte und für das Installieren eines neuen Betriebssystems für 75 Euro. Das alleine wäre kein Problem gewesen, ich hätte bloß vor dem Kurs einmal die Systemeinstellungen/Datenschutz&Sicherheit updaten müssen. Das versuchte ich nun lässig live, es wurde nach einem Passwort gefragt, um den Schutz meiner Sicherheitseinstellung aufzuheben. Gib Dein Passwort ein, um dies zu erlauben, stand dort neben dem kleinen goldenen Schloss, das mich trennte von meiner noch einer Sekunde zuvor dagewesenen Souveränität. Von da an ging’s steil bergab mit mir und meiner Frisur. Ich sah mich von oben und hatte weder Zugang noch Einfluss auf meinen Hirninhalt. Sobald man mich nach einem Passwort fragt, friere ich ein. Während ich im Hintergrund immer wieder eine wahllose Buchstabenzahlenkombi eintippte, gab ich vordergründig vor, nicht den Verstand zu verlieren. Dabei war es längst geschehen. Eine der Kursteilnehmerinnen bot netterweise an, einen Link zu erstellen für eine alternative Plattform, Teams oder Google Meet. Wir versuchten es, gingen alle on- und offline, trafen uns wieder, wechselten zwischen den Hosts, aber mein Bildschirm ließ sich nicht teilen. Das ging sechzig Minuten lang so.
Ich erinnerte mich an das Pferdecoaching, das ich vor paar Jahren mal gemacht hatte. Bei Pferden ist innen wie außen, sie spiegeln menschliches Verhalten unverfälscht. Deswegen werden sie gerne eingesetzt als Entwicklungshelfer der eigenen Persönlichkeit. Damals bei dem Coaching im Reitstall ging es um berufliche Herausforderungen. Als ich an der Reihe war, sagte ich, dass ich unter Zeitdruck nicht mehr klar denken kann. Die beiden Coaches fragten, was ich mir von dem Workshop erhoffe und ich formulierte mein Ziel so: „Ich will unter erschwerten Bedingungen ruhig und fokussiert bleiben.“ Sie zogen sich kurz zurück und gaben mir dann meine Aufgabe: „Baue innerhalb von drei Minuten einen Parcours mit so vielen Stationen wie möglich!“ Und da war sie wieder: Die blanke Panik. Plus der Glaubenssatz, der mich unter Zeitmangel stets bombardiert: Du kannst direkt einpacken. Ich griff kopflos aus der Requisitenkiste zwei Kindertöpfchen, ein paar Seile, klemmte mir drei Verkehrshütchen und mehrere Schwimmnudeln unter den Arm. Kein Konzept, nur Herzrasen, Hektik und Schweißausbruch. Ich hätte nicht mal sicher sagen können, was ein Parcours überhaupt ist.