Eine Weile habe ich es einwirken lassen, das Alte abgerubbelt, darunter kam Neues zum Vorschein: Paris war wie ein Peeling für die Seele. Am fünften Tag in der Stadt der Liebe, die mich diesmal aggressiv statt anschmiegsam machte, kriegte ich mich wieder ein. Vielleicht lag es am Burger am letzten Abend im Hotel Amour, vielleicht an dem Wissen, dass ich am nächsten Morgen heimfliegen würde, aber plötzlich war Paris gar nicht mehr so hässlich. Plötzlich sah ich wieder Schönes für einen Moment um die Ecke lunsen. Und alles tat mir leid. Meine Miesepetrigkeit, diese bedrückte Trübsinnigkeit, dass ich nicht genießen konnte, was ich mir so schön ausgemalt hatte, das Enttäuschen und enttäuscht sein, die Freudlosigkeit über die Stadt, die ihr Versprechen diesmal nicht einlöste, ich, die ihr Versprechen brach, äußere Umstände nie mehr für innere Katastrophen verantwortlich zu machen. Beinahe hätte ich meinen letzten Termin vor Selbstmitleid abgesagt. Ich betrat das Healing House in der rue Charlot mit hängenden Schultern, wenig Hoffnung auf Heilung, aber immerhin noch mit einem Funken professioneller Neugier, was sich hinter dem Konzept von Muse&Heroine verbirgt.
Ich klingelte, lief durch das filmreife Treppenhaus in den zweiten Stock, fragte nach Janine Knizia, der Gründerin des Online-Shops für Clean-Beauty und The Healing House. Sie wartete im ersten Stock auf mich, was ich überlesen hatte in meinem Frust. Wir texteten uns: Wo bist Du? Also ich bin hier. Warte, ich komme. Okay, ich stehe am Empfang im ersten. Kein Problem, ich komm runter zu dir. Ah, ich komme jetzt hoch zu dir, gleich müsstest du mich sehen. Äh, ich sehe dich nicht, wo bist du? Also ich bin hier. Im ersten? Komisch, finde dich nicht. Ich dich auch nicht. Don’t move. Ich lachte zum ersten Mal nach fünf Tagen wieder. Von da an ging’s steil bergauf mit meiner Laune. Wir fanden uns schließlich im Treppenhaus, sie sprang mir auf den gebohnerten Stufen entgegen in einem kükengelben Kaschmirpullover und strahlte, als sei ich, diese schlecht gelaunte Frau im verkrumpelten Jeanshemd, ein Anlass zur Freude.
Zweieinhalb Stunden später verließ ich das Gebäude wieder und fühlte mich geheilt von allen körperlichen und geistigen Symptomen. Weder Halskratzen, noch Herzschmerz. Was passiert war, wie die Anwendung hieß, die ich bekam, welche internationalen, organischen Luxusprodukte aufgetragen wurden, welchen Detox Tee ich getrunken, welche Tinkturen auf mein Kronenchakra aufgetragen, welche Massagetechnik angewendet wurde? Keine. Nichts. Wir saßen einfach bei einem ordinären Kamillentee in einem der wunderschönen Räume mit den hohen Decken und den denkmalgeschützen Jugendstilfenstern und redeten und redeten. Über dies, das, Gott, die Welt und die Liebe, über Shiva Rose und die Unterschiede einer Tomate aus Sizilien und einer aus Apulien, über das Date, das sie am Abend zuvor mit ihrem Mann hatte, den kükengelben Kaschmirpulli (Roberto Collina), über Mother Jeans, Pendeln zwischen Paris und Modena, über Häutungen, ihre Health Coach Ausbildung in New York, und darüber dass ihr Umfeld stets davon überzeugt ist, sie sei Veganerin oder zumindest Vegetarierin, aber seit sie in Italien lebt, sich rein gar nichts mehr verbietet.
Wenn nicht gerade Fashion Week ist, kann man im The Healing House tatsächlich Treatments buchen, von denen erzählt wird, dass sie nicht nur den Teint transformieren. Vor allem das neunzigminütige The Cellular – Renewal Facial by Melinda Bognar. Ich kann es nicht beurteilen, weil ja Fashion Week war und wir statt Peelings und Massagen bloß Selfies gemacht haben in dem Behandlungsraum mit dem Pfauen Fenster, von dem ein Schamane mal gesagt hat, dass hier besonders gute Energie im Umlauf sei. Die sind hier regelmäßig zu Gast und checken die Lage. Ich habe mich also mit der gleichen Haut verabschiedet, in der ich gekommen war, und dennoch: Irgendwas war verändert. Vielleicht lag es an dem Duft, Mamajuju, den ich als Laborprobe, weil er erst kurz drauf auf den Markt kam, mitnehmen durfte. Er ist von Vyrao, nichts daran ist synthetisch, fast alles natürlich, supercharged. Er soll „grounding“ sein, riecht nach Sandelholz und Kardamom, erinnert mich an den ersten Jungen, den ich küsste. Beim Abschied gab mir Janine noch ein Peeling mit, Élixir Exfoliant von French Farmacie. Ich bedankte mich und meinte: “Ach, ich steh’ eigentlich gar nicht so auf Peelings, mache das fast nie.” Sie sah mich mit großen Augen an: “Was? Warum denn das? Das musst Du machen!” Ich lachte: “Weil ich eh kein dickes Fell habe und fürchte noch dünnhäutiger zu werden.” Als ich wieder auf der Straße stand, wischte ich mir ein paar Hautschuppen von meinem Handrücken: Häutungen tun manchmal sauweh. Aber sie sind das Kostbarste, das man sich leisten kann. Man braucht dazu weder einen Termin noch Kohle. Nur ein bisschen Mut.
Boah, das kenne ich voll. Mir ging das mit Berlin mal so. Kürzlich war ich erst wieder dort und was soll ich sagen, diese Stadt macht was mit mir, obwohl ich dieses laute, schrille, dreckige, verrückte, kaputte "eigentlich" so gar nicht mag. Es ist irgendwie magisch und abstossend zugleich. Danke für deinen schönen Text heute, liebe Suse😍
Lieben Dank. Gelber Pulli - das hat was, bei ihr definitiv. Mit viel Bronzer und rotem Lippenstift.
Es ist was es ist. Sagt Erich Fried.