Wo ist mein Dritter Ort?
Nicht dort, wo ich zuhause bin und arbeite. Also reise ich mal in den Schwarzwald! Wer kommt mit?
Ich brauche einen neuen Job. Sah den Gärtnern an der Uferpromenade vor meinem Fenster zu und wollte mitmachen. Mich schmutzig machen, in der Erde graben, das Laub einsammeln, an der Luft sein, den Regen riechen und den Wind an meinen Schläfen spüren, Hauptsache irgendwas fühlen, was über die Empfindung meiner Finger, die über Tasten hetzen, geht. Wenn es die meiste Zeit der beste Beruf der Welt ist, den ich habe, bleiben doch immer ein paar Tage im Jahr, in denen ich wünschte, mit meinen Händen etwas anderes zu schaffen, als in der absoluten Isolation Worte mit einem kleinen Rechen in meinem Hirn zusammenzufegen.
Ich gab in die Suchmaschine ein: Umschulung Autorin. Kein Gag. Es kam nicht viel bei raus. Also machte ich einfach weiter mit dem, was ich kann: alleine daheim hocken und schreiben. Ich tippte Texte über Funktionskleidung, Moon Circles und einen über Irina, die erstaunliche Frau, die ich kürzlich für eine Geschichte für The Weekender in ihrem Zuhause besucht und wofür ich 12 Stunden im Zug gesessen hatte, und über alles, auch meine Berufswahl, gründlich nachdenken konnte. Irina steckt hinter dem Label Kaschuba Hommage und meinem Sun Curtain, der mich jeden Tag beim Augenaufklappen glücklich macht und dafür sorgt, dass ich auf eBay Kleinanzeigen neuerdings unmoralische Angebote erhalte. Dort verkaufe ich nämlich einen Vintage-Spiegel, den keine Sau haben will, aber alleine fünf Leute wollten mir in den vergangenen Wochen schon meinen Vorhang abschnacken. Sie schicken Nachrichten, die immer so beginnen: “Leider bin ich nicht an Ihrem Spiegel interessiert.” Und so weitergehen: “Aber könnten Sie mir sagen, woher dieser wunderschöne Vorhang in Ihrem Schlafzimmer ist?” Meine Tage fühlen sich so an, als wüßte ich in jedem Moment, was im nächsten passieren wird. Meistens stimmen meine Prognosen. Manchmal klingelt der Postbote und brüllt in die Sprechanlage: Amma Sohn! Das ist das Gute an einem No-Buy Year, man weiß sehr genau, was nicht für einen ist. Ich rufe dann immer zurück: Amazon? Nicht für mich! Er: Nehmen Sie für Nachbar an? Ich: Nö. Einfach so, weil ich keinen Bock mehr habe, hier wie die Hausmeisterin Schicht zu schieben, während andere am Abend von ihrem langen Tag als Head-of-Senior-Chief-Executive-Vice-President-Officer heimkehren und nachts online Krempel in China bestellen, den ich entgegennehmen muss, weil sie nur einmal leben und ich keinen Dritten Ort habe.
Über den Begriff stolperte ich gestern. Geprägt hat ihn der US-amerikanische Soziologe Ray Oldenburg 1989. In seinem Werk The Great Good Place stellt er sein Konzept des Dritten Ortes vor: Seiner Auffassung nach dient der Erste Ort dem Familien-, der Zweite Ort dem Arbeitsleben. Und der Dritte Ort soll ein zusätzlicher sein, der Ausgleich und Treffpunkt für nachbarschaftliche Gemeinschaft bietet. Später wurde seine These erweitert (und auch kritisiert), denn nicht jeder Mensch hat eine Familie. Der Erste Ort kann also ganz allgemein als das Zuhause verstanden werden, sei es alleine, in einer WG oder eben innerhalb einer Familie. Aber am Zweiten Ort lässt sich nichts rütteln, er bezeichnet die Arbeitsstelle. Was aber, wenn die Arbeitsstelle am gleichen Platz liegt wie der Erste? Braucht man dann nicht erst recht den sogenannten „Third Place"? Und wenn ja: Wo ist meiner? Wo ist Deiner? Für Kinder ist er häufig auf dem Spielplatz, beim Kung Fu oder einfach im Kindergarten (oder gilt das als Arbeitsstelle?), aber wo ist er für Erwachsene? Beim Yoga, Ballett, Starbucks? Im Chor, Ehrenamt, Freibad, Theater, Schrebergarten? In der Kneipe?
Laut diesem ominösen Ray Oldenburg soll so ein Dritter Ort acht Charakteristika aufweisen:
1. er befindet sich auf neutralem Boden, jeder außer den dort arbeitenden Menschen kann kommen und gehen, wie es ihm beliebt.
2. steht allen Bevölkerungsschichten offen.
3. ist Konversation erwünscht.
4. sind Dritte Orte einfach zu erreichen.
5. verfügen sie über Stammgäste.
6. steht die Optik des Dritten Orts nicht über seiner Funktion.
7. herrscht eine spielerische Stimmung, allzu ernste Themen werden vor der Tür gelassen.
8. dient der Dritte Ort als zweite Heimat.
Ganz wichtig, am Dritten Ort sind alle gleich. „The Third Place is a Leveler” heißt es. Menschen können sich an einem Dritten Ort unabhängig von ihrem sozialen Status und ihrer Rolle in der Familie oder am Arbeitsplatz unvoreingenommen begegnen. Und da kommt spätestens Kritik in die spielerische Stimmung: Nicht jeder Mensch kann sich leisten, einen Dritten Ort aufzusuchen. Dritte Orte sind in der Realität selten unabhängig vom sozialen Status zu besuchen. Viele können sich schlicht keinen Abstecher zum Ausgleich leisten, sei es der Eintritt ins Freibad, die Mitgliedschaft in einem Gym oder Stammgast zu sein in einem Café, wo der Grande Latte Dingsbums soviel kostet wie ein Wocheneinkauf und die bellende Wirklichkeit leider wie ein Hund vor der Türe bleiben muss. Dennoch: Der Grund für Langeweile und Einsamkeit könne daran liegen, dass man nur zwei (oder wie in meinem Fall nur einen) Orte hat, schnappte ich auf.
Früher war mein Dritter Ort Kundalini Yoga. Die Gemeinschaft, der Ausgleich, die Stammgäste, die Konversation, und ja, wir konnten kommen und gehen. Aber dann kamen ein paar fragwürdige und traurige Ereignisse dazwischen und ich fuhr nicht mehr wie zuvor an die Orte, die selten einfach zu erreichen waren (Retreats in New York oder auf Mallorca). Weder logistisch noch finanziell. Ich ließ bleiben, was mir viele Jahre Heimat, Sinn und Identität gab. In einem dieser Retreats lernte ich Katharina kennen, beim Abendessen in einem Kloster auf Mallorca erzählte sie mir, sie sei gerade mit ihrem Mann und ihrer kleinen Tochter von Venice, Los Angeles, in den Schwarzwald gezogen. Dort hatten sie ein altes Bauernhaus aus dem Jahr 1650 gekauft und waren dabei, es aufwändig zu renovieren. Es solle ein kreativer Ort werden, an dem man sich begegnet. Keine von uns hätte damals ahnen können, was in der Welt passieren, welche Hindernisse uns noch begegenen würden. Aber heute, fünf Jahre nach unserem ersten Treffen, ein Gefühl, als sei ein hoher Berg erklommen. Das Haus ist fertig saniert, es wurde bei der Renovierung hauptsächlich Holz und Lehm verwendet, es steht einsam auf einem Berg, direkt im Wald, in der Natur, das Wasser kommt aus einer Quelle, keine Lichtverschmutzung, sternenklare Nächte und Ende Mai nun finally die Eröffnung: The Blackforesthouse 1650. Ich werde also meinen Rucksack packen und für die erste “Friends of Truths Expert Series” in den Schwarzwald reisen, um mir das mal anzuschauen. Es geht bei allen Events, die Katharina anbietet, um Persönlichkeitsentwicklung, Fragen, denen sie auch mit ihrem Journal nachgeht.
Bei der ersten Veranstaltung am 24.5.2024 dreht sich alles um das Ergründen der Wechselbeziehung zwischen unseren Sinnen, unserer Umgebung und dem Kosmos. Joanna Pitt aus Los Angeles wird als Expertin da sein und evolutionäre Astrologie anbieten, sie integriert alte Weisheiten mit spirituellen Texten. Man kann auch mit Joanna ein individuelles 1:1 Reading buchen. Bekocht werden wir während des Workshops von der intuitiven Köchin Cindy Bachmann von L.A Coldpress (Nein, keine Sorge, es wird nicht nur Säfte geben). Wir werden Spaziergänge im Wald machen, vielleicht in der Erde, vielleicht nur in uns graben, in altes Wissen eintauchen, tiefgreifende Erfahrungen in der Gemeinschaft sammeln, von der Meditation am frühen Morgen bis zum abendlichen Lagerfeuer gemeinsam unterwegs sein. Zusammen Abend essen und Yoga machen. Ich bin ein bisschen aufgeregt, aber vor allem freue ich mich wie Bolle, meine beiden anderen Orte mal hinter mir zu lassen für ein kleines Abenteuer. Man kann, wie ich, drei volle Tage bleiben, oder auch nur ein Tagesticket für den Samstag buchen. Das Haus liegt im Breisgau in der Nähe von Bad Krozingen, das ist circa zehn Kilometer südlich von Freiburg. Habe recherchiert, dass Zürich, Basel, Stuttgart auch nicht weit weg sind, aber selbst von Hamburg aus geht das prima. Ach ja, was ich beinahe vergessen habe: Im September 2024 werde ich dort als Expertin eingeladen sein und im Black Forest House einen dreitägigen Schreibkurs geben. Aber vielleicht begegnen wir uns ja schon vorher am Lagerfeuer.
Hier nochmal paar Infos, für alle, die vielleicht auch kommen möchten. Ich werde da sein, im Schatten und im Sonnenlicht.
Love,
Suse
Meine dritten Orte sind überall da, wo ich mich absolut frei fühle. Am Meer, in den Bergen, einer anderen Stadt, mit fremden Menschen oder allein.
Habe erst in den letzten Jahren erkannt, wie wichtig diese Orte für mich sind.
Danke fürs inspirieren!! ❤️
… meine Heimat, da geht mein Herz auf, jedes Mal wenn ich wieder dort bin. 🧚🏻♀️
Das Elsass- Straßburg ist auch immer eine Reise wert und wenn nur schnell auf ein Croissant & einen Café au Lait…