SUSE IN YOUR POCKET

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Für das Leben eine Sprache finden

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Vom Spagat zwischen Pirouette, Pizza, Pina und Seelenpuzzle.

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Suse Kaloff
Nov 03, 2024
∙ Paid
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Für das Leben eine Sprache finden
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Ich wünschte, wir wären alle dort gewesen, zusammen in einer Loge. Vermutlich hätten es für den SIYP-Kulturtrip ein paar mehr Logen sein müssen als eine, aber ist das nicht eigentlich eine total süße Idee? Wir alle mit einer Laugenbrezel im Foyer in den Pausen (es gab sogar zwei, weil das Stück zweieinhalb Stunden ging). Vielleicht wär’s aber auch bitter ausgegangen. Muss grad an diese Sex and the City Folge denken (Season 6, Episode 20), in der Carrie die Leserinnen ihres Buches in Paris in einem Bistro treffen möchte und wegen ihrem Heini Bollerkopp Boyfriend zu spät kommt und die Fans schon längst nachhause gegangen waren. The little bookparty was over. Noch heute bin ich sauer auf sie, dass sie das vermasselt hat, weil sie nicht stark genug war, dieser Wurst Aleksandr Petrovsky klarzumachen, dass ihre literarische Arbeit genauso relevant ist wie seine dusselige Kunst. Weil sie Schiss hatte, dass er sie verlassen und ihr French Fairytale platzen würde, wenn sie bei sich bleiben und ihre Bedürfnisse äußern würde. Er, der sie nie wirklich gesehen hat, der immer nur von sich sprach. Schon beim ersten Date in diesem russischen Tearoom im ersten Stock mitten in der Nacht erklärte er ihr, wie man Tee trinkt. Unvergessen der Satz, den seine Exfrau zu Carrie sagte: “and Aleks is okay with you being a writer?” Kaum soll sie für ihr Buch gefeiert werden, ist er nicht mehr okay damit, dass sie Erfolg als Schreiberin hat, bekommt eine Panikattacke und schleift sie ins Museum. Und wie er ihr in Paris diese hässlich teure Kette schenkt, nachdem ihre Carrie Namenskette (vorübergehend) verloren ging. Schlimmster Mann der ganzen Serie. Aber das würde mir nicht passieren, ich schwöre, ich würd’ da sein. Im Schatten und im Sonnenlicht und in der Loge. Wie passend eigentlich, dass Petrovsky ausgerechnet von dem Balletttänzer Mikhail Baryshnikov gespielt wurde.

Die Karte für die neue Spielzeit war ein Geburtstagsgeschenk aus dem letzten März. Damals, im Frühling, hielt ich den Gutschein in der Hand und konnte mir nicht ausmalen, dass es irgendwann tatsächlich Ende Oktober sein würde. Der Sommer war ja nicht mal da, es fing doch alles grad erst an. Und dann war er doch eingetreten, der Herbst, und der Ballettabend The Times Are Racing mit Werken von Pina Bausch, Hans van Manen, Demis Volpi und Justin Pecks stand auf dem Programm. Ich kannte nur den ersten Namen. Mit The thing with feathers stellte sich der neue Ballettintendant und Nachfolger von John Neumeier vor. Der Titel des Balletts ist dem Gedicht Hope is the thing with feathers von Emily Dickinson entlehnt. In dem Stück tanzten 14 Tänzer und Tänzerinnen, die Kostüme trugen in den Farben von Dahlien. Wir saßen zu zweit mit einem kleinen Opernglas in einer Loge mit Blick über dem Orchestergraben, und es passierte das, was immer passiert, wenn ich Menschen dabei zugucke, wie sie aus ihrem inneren Wirbel heraus eine Energie erzeugen, sie mit ihrem bloßen Körper etwas erschaffen, das dir die Sicherungen durchknallen lässt. Spürbar im eigenen Bauchnabel und im ganzen Saal bis in den letzten Rang. Ihre Bewegungen bewegten mich in einer Preislage, die vielleicht übertrieben war, an einer Stelle liefen mir ohne Vorwarnung Tränen die Wangen herunter, ich wollte mit ihnen tanzen, bekam so einen großen Hunger nach Leichtigkeit in meiner Mitte. Ich kann nicht mal sagen, welches Stück wo endete und wo das nächste wann begann, es war wie eine Welle, die mich mitnahm und nach zweieinhalb Stunden in der Pizzeria gegenüber der Staatsoper anspülte und mich aus unerfindlichen Gründen eine italienische Kirschlimonade zur Margherita bestellen ließ.

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