Hirngespinste klauen Energie!
Obacht also, in wessen Story du dich verhedderst. Vor allem, wenn es eine hausgemachte ist.





Vierzehn Stunden von Tür zu Tür, vom Gestern ins Heute, vierzehn Stunden, um meinen unstillbaren Appetit auf ein anderes Leben im eigenen hinter mir zu lassen. Einen Tag lang hat es gedauert, bis ich verstand, warum ich so viel mehr von der Insel mitgenommen, als im Koffer hergebracht hatte und bis ich mich wieder daran erinnerte, dass rejection immer redirection bedeutet. Ich nahm die erste Fähre am Morgen Richtung Athen. Obwohl ich wenige Tage zuvor noch gewünscht hatte, für immer hier zu bleiben. Wenn nicht für immer, dann wenigstens für eine lange Zeit. Wenn nicht für eine lange Zeit, dann wenigstens noch eine Woche. Wenn nicht noch eine Woche, dann würde ich zumindest meinen The Carrie Crash Course hier auf der Insel abhalten. Bloß wo und warum? Und vor allem der Verdacht, mich verlaufen zu haben in einer optischen Täuschung, in einer Story im Kopf. Guru Jagat antwortete mal auf die Frage, wie man merkt, ob man sich in einer Nicht-Realität verfangen hat, das sei ganz einfach: “reality gives you energy, non-reality takes your energy.”
Als die Fähre letzten Freitag den Hafen von Hydra verlies, war ein Schokocroissant und ein Cappuccino vom Bäcker, der nun traurigerweise auch To Go Becher anbietet, in mir, aber keine Wehmut. Als wir schließlich mit anderthalb Stunden Verspätung in Piräus einliefen, winkte der bestellte Taxifahrer bereits mit einem Schild in der Hand: Susanne Kaloff. Ich konnte mit dem Namen nichts anfangen. Wer ist die Frau und wo war sie die letzten zehn Tage? Meine Sehnsucht wog nicht mehr schwer, kein emotionales Übergepäck, den reservierten und bezahlten Sitzplatz könne man mir leider doch nicht geben, weil “Aircraft Change” sagte die Frau hinterm Swiss Air Schalter. Es klang wie “Life Change”. Ich checkte all die schönen, kleinen, wirklichen Geschichten und die großen Phantasmen der letzten Tage ein, bekam zwei Bordkarten und ein Good Bye. Stand in der Schlange mit der Plastikschale mit meinem Laptop drin auf dem Arm, hörte wie ein Mann schimpfte: “Warum dauert das so lange hier?”, nahm meine drei Armreifen ab, weil es gepiepst habe. Ich hörte gar nichts. Flughafen Chaos, Hektik, Badeschlappen Gerenne und ich stand immer noch oben auf dem Berg, dort, wo es außer qietschenden Zirkaden und ab und zu ein I-ah keine Stimmen gab. Gestern erst hatte ich mich das letzte Mal dort hochgeschafft mit meiner 1,5 Literflasche Wasser. Unmut hatte sich von einen auf den anderen Tag in mir ausgebreitet wie ein fieses Ekzem, eins, das juckt und einem nicht mehr lächeln lässt. Vielleicht war es auch eine allergische Reaktion auf zuviel Hydra. Die Insel, von der ich 24 Stunden zuvor gesagt hatte, ich würde sie mehr lieben als Butter, ging mir von einer auf die andere Minute auf den Geist. Meine Haut spannte vom Salz, der Sonne, den Moskitostichen, der Schicht SPF 100 und den amerikanischen Tagestouristen, die durch die Gassen hatschten, als sei das hier Disneyland. Und all das, was mich vorher in weiche, warme, weiße Laken gewickelt hatte, fühlte sich plötzlich an wie eine Zumutung. Wie eine enttäuschte Geliebte suchte ich nach Gründen, nicht traurig sein zu müssen. Aber ich war es und wusste nicht mal, worüber eigentlich. Vielleicht über die Erkenntnis, weder aus der eigenen Haut noch aus dem eigenen Leben zu können. Ich machte eine Liste mit den Dingen, auf die ich mich in Hamburg freuen würde und vergaß, dass ich zwei Wochen zuvor eine Liste gemacht hatte mit all den Dingen, die ich mitnehmen würde. So viel Hydra-Hoffnung und Hirngespinste.
Wasser aus der Leitung trinken
Klopapier ins Klo werfen
Wärmflasche
Budnikowski
Fahrrad fahren
Matcha trinken
Heiß duschen
Vollkornbrot
Mein Bett
Herbst
Safranfadenfarbene Gladiolen
Maiskolben
Ich zog mein lila Kleid an und ging ein letztes Mal essen, die Restaurantbesitzerin sagte, alle Tische seien reserviert, aber sie könne mir “on the stairs” einen Tisch hinstellen. Sie zeigte auf die schiefe Treppe, wo Pärchen in Pareos entlangschlenderten. Da soll ich mittendrin mutterseelenalleine auf ausgetretenen Stufen Weinblätter essen? Ich sagte “Nein Danke” und dachte an die SATC Folge (Season 2, Episode 4) “They Shoot Single People, Don’t They?” Beim nächsten Restaurant schnauzte die Kellnerin auf meine Bitte, nicht an dem ärmlichen Katzentisch in der Ecke, sondern unter Menschen sitzen zu dürfen: “Okay, 45 minutes!” Ich bestellte bei der Domina eine gefüllte Aubergine aus dem Steinofen, weil der Name so verheißungsvoll klang: Imam Baildi. Übersetzung: Der Imam fiel vor Entzücken in Ohnmacht. Mir gegenüber ein französisches Paar, das aussah wie zwei makellose Haselnüsse an einem Zweig. Beide hatten exakt den gleichen Bräunungsgrad, weder Poren noch Mückenstiche. Sie trug einen bodenlangen Kaftan, die perfekt blondgesträhnten Haare zu einem Chignon. Der Mann Slipper, Poloshirt, knöchellange Hose, silbernes Haar, sah aus wie ihr Chef, aber sie küssten sich und schossen Selfies mit ihren Zucchinipuffern in den Terrakotta Töpfchen vor sich. Und dafür, dafür hast du sie zurückgelassen, für so einen Scheiß? Der Satz floss ohne mein Zutun wie schmelzender Feta in meine Gehirmasse und hinterlies einen bitteren Geschmack im Mund. Später am Abend wird er seinen Kindern in Paris ein Foto von den Eseln am Hafen schicken und eins von sich, wie er die Puffer isst. Vielleicht wird er die Haselnuss abschneiden. Als meine Zeit abgelaufen war, schaute ich bei dem launischen Apotheker vorbei und fragte mich, wer mir mit Gewalt den Schleier vom Gesicht gerissen hatte. Eine Woche zuvor glich jeder Gang zur ältesten Apotheke Griechenlands einem romantischen Trip ins Paradies. Bei meinem Lieblingsladen, Turquoise, wollte ich an diesem letzten Abend noch ein paar Souvenirs kaufen. Der Besitzer begrüßte mich mit den Worten: “How is your year, Madame?” und ich erwiderte ungläubig “good”, obwohl mir diese Frage so mitten im August seltsam vorkam. Er gab mir einen Euro fünfzig Rabatt auf die Tasche, die ich kaufte, und als ich “Danke” sagte, meinte er: “You see, now you hear better!” Ich verstand nur Bahnhof. Er: “Ihr Ohr, Madame, sie hatten doch Probleme damit, nein?” Ich: “Äh, nein.” Na, dann müsse es eine Verwechslung sein, Pardon, Madame. Er hatte also gar nicht gefragt, wie mein Jahr, sondern wie mein Ohr sei. Wenn er noch einmal Madame zu mir sagt, springe ich ihm an die tättowierte Kehle, dachte ich. Paar Tage zuvor war ich auch in seinem Laden gewesen und hatte gehört, wie er zu einer Kundin sagte: “Mademoiselle” Sie kokettierte, während er ihr den indischen Schal verpackte: “Ach ich weiß nicht, ob man mit Vierzig noch eine Mademoiselle ist!” Er:” Forty??? Really, Non, Arrête! Unbelievable. Immer Mademoiselle, never Madame! Always stay young, you know!” Always stay young. Als sei es das Credo für ein erfülltes, reiches Leben. Denn dann kriegste, wenn du richtig viel Schwein hast, sogar noch einen Mann ab in Hochwasserhosen, der doppelt so alt ist wie du. Mazel Tov, young lady.
Auf dem Zwischenstopp Richtung Erkenntnis und Hamburg stillte ich meinen Hunger am Züricher Airport mit einem Rösti-Burger und einer Apfelschorle für 16 Franken bei Burger King. Bei uns in Deutschland kriegste dafür ein Monatsabo SIYP, haha, fand ich lustig. Ein Mitreisender, der auch ans Gate rasen musste, nachdem unsere Maschine aus Athen zwei Stunden Verspätung hatte, fragte: “Fliegen Sie auch nach Luxemburg?” Ich sagte: “Nein, ich gehe jetzt nachhause.” Und es fühlte sich an, als hätte ich ein sehr wertvolles Andenken in meiner noch warmen Hand.
Liebe es. Danke. Freue mich jeden Sonntag darauf. Und wenn es zu Ende ist, gleich nochmals zu lesen.
Happy Sunday.
Ich liebe, liebe, liebe Deine Zeilen. Hast Du es geschrieben, oder ich nur beim Lesen gedacht? Wenn wir Pläne machen, lacht das Universum. Auch ich machte Pläne für mein Geburtstagswochenende. Anstatt irgendwo schick hin zu düsen, schick auszusehen, schick auszugehen, schicke Leute zu sehen, habe ich mit meinem Mann in Dankbarkeit im Vorhof eines Krankenhauses gesessen, der Sonne und den Leuten zugeguckt, in ein Magnum gebissen und gedacht... alles wird wieder gut..