Beim ersten Mal hab’ ich mich erschreckt, beim dritten Versuch fing’s an, Spaß zu machen: das Wagnis, nicht mehr stets süß zu sein, sondern den Mund aufzumachen. Meine Rebellion begann bereits im letzten August auf Hydra, als ich dem fremden Mann, der fragte, ob ich Gesellschaft beim Dinner haben wolle, antwortete: Nein. Er zog weiter und ich fühlte keinerlei Schuld. Woran auch? An seinem möglichen Frust, mit dem er nun klarkommen musste, weil ich ihm einen Korb gegeben hatte. Die Gefühle von anderen Menschen liegen nicht in meinem Aufgabenbereich. Allerdings sehr wohl in meinem Einflussbereich, weswegen ich mich in der Vergangenheit häufig selbst in Flammen setzte, um andere warm zu halten. Oder Ja sagte zu Sachen, zu denen ich lieber Nein gesagt hätte.
Ich werde für immer mit meinen Mitmenschen freundlich sein, werde Omis im Supermarkt vorlassen, Guten Tag und Tschüss sagen, einer Schwangeren meinen Platz im Bus anbieten, älteren Leuten über die Straße helfen, ich werde Unbekannte anlächeln, selbst an Tagen, an denen das Lächeln im Kiefer kneift. Weil es gut ist, wenn man wenigstens probiert, ein guter Mensch zu sein, weil es gut ist, wenn man sich ein bisschen Mühe gibt, dieses Leben auf diesem boiling hot planet ein klein bisschen friedlicher zu gestalten. Was ich jedoch nicht mehr tun werde: mein inneres Nein überhören und meine Widerworte runterschlucken. Früher hatte ich irgendwo mal einen Aufkleber bappen, auf dem “Be kind. No exceptions!” stand, hatte ihn beim Yoga mal mitgenommen. Kindness ist ne super Sache, klaro. Viele Jahre praktizierte ich sie stoisch, egal, was auch geschah. Ich nannte es Grazie, dass ich gelassen blieb, wenn mir jemand dumm kam. Es ist eine wichtige Qualität, ruhig zu bleiben, wenn andere austicken. Man nennt es auch non-reactivity, was vor allem im Kundalini Yoga gepriesen wird, nicht reagieren, sich nicht auf die niedere Frequenz begeben, immer schön gechillt und erhaben bleiben. Aber sei es Yoga, Stoizismus, Buddhismus, Mindfulness oder einfach nur How to Not Give a Fuck, das allen Lehren zugrundeliegende Prinzip bleibt das Gleiche: Wie werde ich weniger reaktiv und dadurch stabiler?
Vielleicht habe ich einfach zu lange Yoga praktiziert, aber irgendwann fing ich an, so stabil zu sein, dass ich nicht mehr widersprach, lieber Ja und Amen statt Aufruhr. Denkbar auch, dass ich einfach nur feige, konfliktscheu und bequem wurde. Alles für die Harmonie, damit sich niemand in meiner Anwesenheit so fühlen muss wie in einer Badewanne, in der das Wasser abgekühlt ist. Immer neues warmes draufgießen, den Hahn weit und großzügig aufdrehen, damit sie sich noch ein wenig länger behaglich in der heißen Brühe aalen können. Das Problematische an dem yogischen Mindset ist, dass es ja im Grunde auch ein bisschen in die Richtung “andere Wange hinhalten” geht, nur, dass es weniger redlich klingt als im Christentum, wenn man sich selbst so inszeniert, als würde man engelsgleich über den Dingen und Auren der anderen schweben. Vielleicht bin ich jetzt auch einfach in dem Alter, indem ich mir das selbst nicht mehr abnehme, dieses edle, ganz in Creme gehüllte Gemüt, das lieber still ein Schutzmantra in der beigen Manteltasche mitlaufen lässt anstatt zu protestieren. Vielleicht bin ich jetzt in dem Alter, in dem mir dieses Harmonie-Hormon fehlt, das Frauen ein dreiviertel Leben lang zur Milde animiert. Huch, es muss abhandengekommen sein, oder wie ist zu erklären, dass ich dem Dude neulich so vehement widersprach und drauf bestand, dass er gequirlte Scheiße labert?