Gefühle sind wie Kaulquappen, sie ziehen vorüber- just a passing emotion. Am Mittwochmorgen war es schon drei Wochen bei mir, dieses störende Gefühl, das nicht ganz so schnell vorbeihuschte wie Froschbrut. Ich war drei Wochen lang täglich besorgt um eine kleine Stelle am Dekolleté, die zuvor nicht da war. Die Stelle war circa so groß wie eine zwei Tage alte Kaulquappe ohne Schwanz und Ärmchen. Nun war ich endlich auf dem Weg zur Hautärztin, es war 7 Uhr 45, noch war nicht mal die Sonne aufgegangen.
Drei Wochen lang sagte ich mir täglich, dass es sicher harmlos ist. Drei Wochen lang sagte ich mir täglich, dass es sicher Hautkrebs ist. Auf der Straße hob ein Vater drei Kinder in ein Lastenrad und sie lachten zusammen. Er winkte nach oben, am Fenster stand eine Frau. Neulich hatte ich irgendwo gehört, dass Muttersein ein build-in-purpose sei, man automatisch einen Zweck erfüllen, einen Sinn habe würde, man seine Aufgabe nicht mehr verbissen suchen müsse. Wird dann alles zwecklos, wenn die Kinder groß sind? Und ist es das von vornherein für alle, die keine Kinder möchten, bekommen können oder einfach nicht haben? Muss man im Leben überhaupt sein Warum finden? Ist der Sinn des Lebens nicht das Leben selbst, egal, ob mit oder ohne Brut?
Als ich eine halbe Stunde später wieder auf der Osterstraße stand, war die Sonne aufgegangen und ich nicht dem Tod geweiht. Es war nur ein Pigmentfleck. Die Ärztin sagte, ja, das sei schwer zu unterscheiden, wenn die Haut immer bunter wird. Die ganze Aufregung war umsonst gewesen. Einen Monat hatte ich damit zugebracht, Angst zu haben. Wann lerne ich, zu unterscheiden zwischen den Momenten, wenn es sich lohnt, Angst zu haben und solche, in denen die präventive Sorge kostbare Zeit verschwendet? Aber heiß es nicht Vorsorge? Dass man sich vorher sorgen soll, bevor es zu spät ist?
Auf dem Hinweg hatte ich mir geschworen, dass ich von jetzt an für immer dankbar sein würde, wenn es nichts Schlimmes ist. Nun war es nichts Schlimmes und ich versuchte, mich zu freuen, aber es kam nur ein schlechtes Gewissen auf, undankbar zu sein. Auf dem kurzen Weg zur Praxis begegnete ich Leuten, die es alle eilig hatten, irgendwo hinzukommen, zum Bus, zur Bahn, zur Arbeit. Fleißige Leute, emsig geschäftig unterwegs. Und ich fühlte mich faul und unnütz, weil mir nie jemand dabei zusieht, wenn ich fleißig bin. Ich habe keine Zeugen für mein Tun. Stehe nie unter Beobachtung. Muss nicht so tun, als würde ich arbeiten, wenn grad nichts los ist. Habe keine Chefin, die mir über die Schulter lunzt. Erst dann, wenn ein Ergebnis aus dem Nichts entstanden ist, wird meine Arbeit sichtbar. Vorher sieht es immer aus wie Chillen. Sehe ich aus wie ein weißes Blatt Papier. Um 9 Uhr 30 stand ich am Fenster in meiner Küche und hätte die glücklichste Frau unter dem blauen Himmel sein müssen, aber fühlte mich wie der Rentner, den ich neulich vor meinem Haus getroffen hatte.