Ich hatte nicht nach ihm Ausschau gehalten, er war plötzlich da, dieser Satz: Im Zen wird oft gesagt, dass Zen nichts biete: keine Lehre, kein Geheimnis, keine Antworten. Ikkyū Sōjun, japanischer Zen-Meister und Dichter, der von 1394–1481 gelebt hat, soll gesagt haben:
„Ich würde gerne irgendetwas anbieten,
um Dir zu helfen,
aber im Zen haben wir überhaupt nichts.“
Selten so viel Erleichterung gespürt beim Lesen. Die meiste Zeit meines Lebens habe ich was gesucht, weil das, was ich hatte, wusste, war, offenbar nicht ausreichte. Jeder Yoga-Stil, jede Ernährungslehre, jede neue Kosmetikmarke, jede Philosophie, tausend Meditationen, sämtliche Therapieformen, zig Gurus verschlissen, alles ausprobiert, wie ein vitaler Maulwurf Gänge in meine Seele gebuddelt, stets diensteifrig nach Sinn und Seren gesucht. Einiges gefunden neben Dogma, Kult und Verwirrung. Was blieb, was half und wogegen eigentlich? Nur eine einzige Sache: Das Wissen, dass der Drang nach Erkenntnis der Erleuchtung im Weg steht. Das Geschenk, das man erhält, wenn man aufhört, an Dingen, Überzeugungen, Gedanken, Lehren, Versprechen, Strömungen, Meistern oder Menschen festzuhalten, ist Freiheit. Diese Autonomie kann man nicht ordern, weder dick noch dünn auftragen, nicht buchen oder länger einwirken lassen, man erwischt sie nicht mal auf der Matte oder auf einem Schafsfell. Sie ist eine Begleiterscheinung, taucht auf, sobald man die Ermittlungen einstellt, sich selbst vertraut und die Suche für beendet erklärt.
Eine Freundin sagte mal vor vielen Jahren: “Ich glaube, glamouröser wird’s nicht mehr.” Sie sprach von ihrem Leben und klang dabei nicht die Bohne frustriert. Damals wollte ich vor Empörung über diese vermeintlich resignierte Äußerung aufschreien, heute verstehe ich, wie klug sie war: It’s okay. Es muss nicht doller, nicht spannender, nicht schöner werden, es muss nix Großes lauern um die übernächste Ecke, weder Geldsegen noch Amour-Fou, nicht mal Glass Skin. Es ist in Ordnung, wie es ist. In der Akzeptanz des schlichten, alltäglichen Lebens liegt viel Entlastung. Und Eleganz. Heller wird’s nicht, würd’ ich’s nennen, Glamour hat mich noch nie so interessiert. Vielleicht reicht es, zu essen, wenn man hungrig ist, zu schlafen, wenn man müde ist, ein Glas Wasser zu trinken, wenn man durstig ist. Vielleicht ist das in Wahrheit viel und alles. Vielleicht aber lässt es sich auch ganz anders sehen, nämlich so wie Susanna Schrobsdorff, deren Newsletter It’s Not Just You ich gerne lese. Er handelt neuerdings von “On Leaving Brooklyn for Paris”, sie verkaufte ihr Apartment in New York und alles, was drin stand, packte letzten Januar ihr Hündchen ein plus die Dinge, die sie im Flugzeug transportieren konnte, verließ Amerika, ließ ihre beiden erwachsenen Kinder, ihr Sofa, ihren Instapot und ihr bisheriges Leben zurück, weil sie sich neu fühlen wollte: “I don’t want to be young again, I want to be new again. And by new, I mean I want to be a beginner again. I want to be out of my element.” Als ich das las, piekste es zwischen zweiter und fünfter Rippe: Sollte ich mein Element möglicherweise auch verlassen, um mich neu zu fühlen? Geht das überhaupt, sich neu erfinden, sich neu anfühlen? Oder ist das auch wieder nur ein Trick, um dem Instapot und all dem zu entkommen, was einem selbst zum Hals raushängt, dem zu entfliehen, was man tief in seiner Seele ist und immer bleiben wird? Kurz: Ich würde auch gerne irgendetwas anbieten, um zu helfen, aber ich habe überhaupt nichts. Außer diesen 9 unglamourösen Tipps aus meinem Element:
1. Wenn dir jemand sagt, dass du täglich morgens um 4 Uhr 30 aufstehen musst, um dein wahres Selbst zu finden, nimm die Beine in die Hand und renn. Oder zeig den Mittelfinger. Oder am besten beides gleichzeitig. Bleib liegen und schau vom Bett aus der Sonne zu, wie sie täglich selbstbewusst aufgeht, und sei dir sicher, dass niemand besser weiß, was für dein wahres Selbst gut ist, als du selbst.
2. Die antioxidative Kapazität von Pistazien ist höher als die von Blaubeeren. Auch höher als jene von Kirschen oder Rote Bete. Nahrungsmittel mit hohem Gehalt an Antioxidantien stehen in Verdacht, das Sterberisiko zu senken. Was für ein wahnwitziges Wort: Sterberisiko. Als würde einem das Leben für immer zustehen, wenn man sich nicht zu weit aus dem Fenster lehnt. Was jedoch wissenschaftlich bewiesen ist: Pistazien enthalten einen Sack voll sekundärer Pflanzenstoffe, die super sind für alles, was unseren Körper am Laufen hält. Vor allem das Herz.
3. Man kann, aber muss sich nicht zwingend was zum Anziehen kaufen, weil man auf ein Fest eingeladen ist. Man kann a. im eigenen Schrank bummeln gehen, b. sich was bei einer Freundin ausleihen oder c. sich einfach keinen Kopp machen. Ich kann aus dem Stegreif drei Hochzeiten aus den letzten zwanzig Jahren nennen, für die ich mir extra ein Outfit gekauft hatte. Auf allen drei Feiern fühlte ich mich kreuzunglücklich in meiner Haut. An dieser intrinsischen Zerrüttung konnte kein Kleid der Welt etwas ändern. Nur ich selbst. Seitdem ich das verstanden und meinen inneren Job erledigt habe, würde ich auch in einer Mülltüte die erste auf der Tanzfläche sein ohne rot zu werden.
4. Speaking of kreuzunglücklich in der eigenen Haut: Das Wort, das mittlerweile alle so flüssig aussprechen, als hätten sie an der Sorbonne studiert, lautet Mikrobiom. Damit ist, stark vereinfacht gesagt, die Schutzbarriere der Haut gemeint. Früher nannte man das auch genau so, es stand schon in den Achtzigern auf dem Sebamed Duschgel, das immer die Eltern der anderen Kinder hatten. Nie hatten wir vorher was gehört von einem pH-Wert, in unserem fensterlosen Bad in der Friedensstraße 49, aber klinisch geprüft, mit einem pH-Wert von 5,5, wow, das musste ja gut sein, wenn die das geprüft haben, wovon wir Blödis keinen blassen Schimmer hatten. Und weil man mit alten Begriffen nix Neues verkaufen kann, musste nun ein neues Fachwort her, damit sich (vor allem) Frauen weiterhin fürchten vor ihrer, Hilfe, eigenen Haut. Dabei gibt es das Mikrobiom schon immer. Es besteht aus guten und schlechten Bakterien, die den Körper vor schädlichen Einflüssen schützen. Es enthält Viren, Pilze und Bakterien und ist auf sämtlichen Oberflächen in und auf unserem Körper zu Hause. Kein Grund zur Aufregung, Human Nature. Wobei mittlerweile selbst auf Katzenfutter mit dem Ökosystem, das sich auch im Verdauungstrakt des Haustieres befindet, geworben wird. Angst und Schuldgefühle sind die probatesten Mittel, um alles zu verkaufen, egal ob Teenagern, Senioren, Katzen- oder Kindermüttern. Auf jeder zweiten Kosmetik steht jetzt, das Produkt sei top fürs Mikrobiom, es wird suggeriert, man müsse extra etwas kaufen, um es zu kontrollieren. Muss man nicht, wenn man es vorher nicht mit aggressiven Produkten und Behandlungen ruiniert hat. Ich mag Hautpflege auch sehr gerne und bin überzeugt von ihrer Wirkung auf Körper, Seele und Geist. Aber wenn uns Konsum als Self-Care verkauft wird, ist das nicht nur aus feministischer Perspektive eine klinisch geprüfte Katastrophe.