Wie wird man kreativ?
Indem man auf das Geschnatter der Welt und das Gelaber im Kopf pfeift.
Ich hatte die Vase beim Heimatbesuch neulich mitgenommen, sie stammt aus den Achtzigern aus einem von zwei Dänemark Familienurlauben. Zu meinem Geburtstag bekam ich letztens vier kleine Blumenigel geschenkt, die man benötigt, um einzelne Blüten und Zweige kunstvoll zu arrangieren. Montag klappte ich die Leiter auf und das obere Fenster runter, putzte die Scheibe, kaufte vier Stängel und kam mir vor wie eine Hochstaplerin. In meinem Kopf entfaltete sich zwischen mir und mir folgende, nicht ganz gewaltfreie Kommunikation:
“Na ja, wenn es so einfach wäre, Suse, dann könnte das ja jeder.”
“Aber so schwer kann es doch nicht sein, ich möchte es ja nur mal probieren.”
“Da gibt es aber Regeln und manche Menschen lernen diese Kunst über Jahrzehnte!”
“Ich kann doch einfach mal eine einzelne Ranunkel kühn kurz schneiden und in den Igel stecken, oder?
“Hah, als ob das dann gut aussehen würde, das ist doch total dilettantisch!”
Die Sache mit dem Ikebana beschäftigt mich schon eine Weile, in meinem eBay Warenkorb lag jahrelang ein altes Buch aus den Siebzigern. Nun suchte ich wieder, diesmal nicht nach einer Anleitung auf Papier, sondern im echten Leben, einen Kurs, bei dem ich die japanische Blumensteckkunst lernen würde. Ich fand einen in Bonn, aber das kam mir doch bisschen übertrieben vor. Und einen im Loki-Schmidt-Garten, das ist der botanische Garten der Universität Hamburg in Klein Flottbek. Dort findet ein Praxisseminar in 2 Blöcken à 4 Terminen statt, bei dem man die traditionelle japanische Kunst des Blumenarrangierens lernen würde. “Ganz anders als in der oft auf Üppigkeit ausgerichteten Floristik der westlichen Länder werden im Ikebana nur wenige, ausgewählte Pflanzen von hoher Symbolkraft zu einem Gesteck arrangiert, bei dem die Harmonie des Aufbaus im Mittelpunkt steht” las ich. Ein wichtiger Aspekt seien auch die Jahreszeiten. Mitbringen müsse man eine Ikebana-Schale, zwei Blumenigel, Schere und 100 Euro für den kompletten Kurs. Ich hatte alles zur Hand, aber leider hatte zu dem Zeitpunkt meiner Recherche der erste Termin (Gestecke zum Frühlingsanfang) bereits stattgefunden und ich sah mich auch nicht so richtig, einmal pro Monat mit meinen Igeln in der Tasche mit den Öffis nach Klein Flottbek brettern.
Ich arrangierte also freestyle, fühlte rein, trat zurück, legte den Kopf schief, kürzte die Narzisse noch ein wenig mehr, und noch einen Zentimeter, als sei sie ein Tisch, der wackelt. Setzte die nur noch daumenlange Ranunkel in die Mitte, lachte über mich selbst, schnitt noch ein Blättchen vom Ästlein ab und war nach drei Minuten fertig mit meinem Kunstwerk. Ich schickte meiner Mutter ein Foto. Sie antwortete: “Ich fragte mich, wozu du überhaupt einen Ikebana Kurs brauchst? Das ist ganz toll puristisch, klar und bedeutungsvoll.” Gut möglich, dass die eigene Mutter a little biased ist, ein positiv verzerrtes Bild vom kleinen Wunderkind hat, und alles grandios findet, was es zusammendängelt, aber plötzlich sah ich mein Gesteck mit anderen Augen: Vielleicht muss einem nicht zwingend erstmal jemand erklären, wie man kreiert, vielleicht kann man es einfach mal probieren. Und vielleicht schließt das eine das andere nicht aus, weil es gibt ja Leute, die haben was gelernt, was man selbst nicht gelernt hat, die können einem Tricks verraten, Handwerk beibringen und Inspiration liefern. Aber Kreativität entsteht am Ende nie durch bloße Anleitung, sie entsteht in meinen Augen und meiner Erfahrung nach durch Vertiefung ins Eigene, ins Innere, und aus der resoluten Entscheidung heraus, alles stummzuschalten, was reingrätscht.